Öffentliches Auftragswesen und Vergaberecht in der Krise

Titeldaten
  • Müller, Jan Peter; Schmitz, Daniel
  • NZI - Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht
  • Heft 19/2021
    S.811-816
Zusätzliche Informationen:
Aufsatz

§124 Abs. 1 Nr. 2 GWB, §§ 103 ff. InsO, § 132 GWB, § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 lit. b GWB, § 133 Abs. 1 Nr. 1 GWB

Abstract
Die Autoren beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit den vergaberechtlichen Fallstricken, mit denen sich ein Unternehmen in einer Krise bzw. Insolvenz auseinandersetzen muss. Hierbei differenziert der Beitrag zwischen der Phase der Vertragsanbahnung und derjenigen der Vertragserfüllung. Im Rahmen der Vertragsanbahnung muss eine Krise eines Unternehmens nach Ansicht der Autoren nicht zwingend zu negativen Konsequenzen führen, denn der vor allem relevante Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 2 GWB sei ein Ermessenstatbestand. Diesen beleuchten die Autoren nachfolgend intensiver. So stellen sie den Tatbestand der Norm dar und gehen auf die einzelnen Tatbestandsalternativen ein. Liegt eine der genannten Tatbestandsalternativen Zahlungsunfähigkeit, Insolvenz, Ablehnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse, Liquidation oder Einstellung der Tätigkeit vor, so habe der Auftraggeber durch ordnungsgemäße Ermessensausübung über einen möglichen Ausschluss zu entscheiden. Hierbei dürfe er der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung und Mängelhaftung zwar einen hohen Stellenwert beimessen, dürfe aber auch nicht außer Acht lassen, dass ein Angebotsausschluss das schärfste Schwert des Vergaberechts darstelle. Er habe daher bei der Ermessensausübung darauf zu achten, dass die Prognoseentscheidung nicht wie die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose auf die Fortführung des Unternehmens, sondern lediglich auf die Umsetzung des konkreten Auftrags zu zielen habe. In der Folge beschäftigen sich die Autoren dann intensiv mit den Auswirkungen der Zahlungsunfähigkeit bzw. Insolvenz. So gehen Sie zunächst auf die Bewerbergemeinschaften ein und konstatieren, dass auch die Bildung einer solchen nicht den Ausschlusstatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 2 GWB entfallen ließe, wenn dieser für ein Unternehmen vorliege. Anschließend beschäftigen sich die Autoren mit der vorinsolvenzlichen Sanierung und dem Insolvenzplanverfahren. Beide können grundsätzlich positive Effekte auf die vergaberechtliche Ausschlussentscheidung haben. In einem Exkurs beschäftigen sich die Autoren sodann auch noch kurz mit der übertragenen Sanierung und stellen fest, dass es in diesem Zusammenhang eher auf die Frage der Bieteridentität ankäme. In einem Zwischenfazit rufen die Autoren dann die Unternehmen in der Krise auf, die Ermessensentscheidung des Auftraggebers durch aktive Beteiligung zu beeinflussen. Für den Rechtsschutz gegen die Auftraggeberentscheidung stünden die üblichen vergaberechtlichen Instrumente Rüge und Nachprüfungsverfahren zur Verfügung. Die Prüfungsmöglichkeiten der Vergabekammer seien im Hinblick auf die Prognoseentscheidung des Auftraggebers aber begrenzt. Daran anschließend setzen sich die Autoren noch mit der Phase der Vertragserfüllung auseinander. Hier weisen die Autoren darauf hin, dass regelmäßig Kündigungsrechte für den öffentlichen Auftraggeber bei einem Krisenfall vorgesehen seien, was vor dem Hintergrund des Erfüllungswahlrechts nach §§ 103 ff. InsO überraschend, aber vom BGH im Rahmen von VOB-Bauverträgen bestätigt worden sei. Nachfolgend befassen sich die Autoren noch mit den Auswirkungen von Umstrukturierungen und zeigen auf, dass sich diese am Maßstab des § 132 GWB zu messen haben und in der Regel zu einer wesentlichen Änderung führten und dem Auftraggeber ein Kündigungsrecht nach § 133 Abs. 1 Nr. 1 GWB gewährten. Hier sei aber insbesondere § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 b) GWB in den Blick zu nehmen, welcher sachdienliche und/oder technisch notwendige Änderungen ermögliche.
Daniel Bens, avocado rechtsanwälte, München