Titeldaten
- Antweiler, Clemens
- VergabeR - Vergaberecht
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Heft 2a/2022
S.293-300
Zusätzliche Informationen:
Aufsatz
§ 107 Abs. 1 Nr. 2 GWB
EuGH, Urt. v. 22.04.2021 – RS. C-537/19, EuGH, Urt. v. 25.03.2010 – RS. C-451/08
Abstract
Der Autor setzt sich in seinem Beitrag mit der Entscheidung des EuGH vom 22.04.2021 (C-537/19 – „Wiener Wohnen“) und deren Auswirkungen auf den Anwendungsbereich des Vergaberechts bei grundstücksbezogenen Geschäften kritisch auseinander. Im ersten Teil des Beitrags rekapituliert der Autor die drei im Zusammenhang mit der Einordnung von Grundstücksgeschäften bekannten Fallgruppen: Typengemischte Verträge, bei denen ein Bauauftrag nur dann nicht vorläge, wenn die durchzuführenden Bauarbeiten gegenüber dem Hauptgegenstand von untergeordneter Bedeutung seien (1. Fallgruppe), Veräußerungsgeschäfte (2. Fallgruppe) und Mietverträge über noch zu errichtende Gebäude, bei denen es darauf ankäme, ob diese nach den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen errichtet würden (3. Fallgruppe). Daran anknüpfend stellt der Autor die Entscheidung „Wiener Wohnen“ des EuGH vor. Das kommunale Wohnungsbauunternehmen Wiener Wohnen schloss hier im Jahr 2012 einen langfristigen Mietvertrag über ein noch zu errichtendes Gebäude ab, bei welchem die Grundzüge der Immobilie bereits festgelegt waren, aber die Baugenehmigung noch nicht erteilt war. Im konkreten Fall kam der EuGH zum Ergebnis, dass kein öffentlicher Bauauftrag vorläge, da der öffentliche Auftraggeber keine Maßnahmen ergriffen habe, mit denen „Einfluss auf die architektonische Struktur des Gebäudes wie seine Größe, seine Außenwände und seine tragenden Wände ausgeübt wird“ (vgl. EuGH, a.a.O.). Die konkreten Anforderungen im zu entscheidenden Fall gingen nicht über das gewöhnliche Maß dessen hinaus, was ein Mieter üblicherweise verlangen könne. Anschließend stellt der Autor den Rechtsrahmen vor, indem er den öffentlichen Bauauftrag definiert und die Ausnahmeregelung zu Erwerb, Miete oder Pacht vorhandener Gebäude gem. § 107 Abs. 1 Nr. 2 GWB vorstellt. Er stellt fest, dass vom Ausnahmetatbestand lediglich solche Kauf-, Miet- oder Pachtverträge umfasst seien, welche sich auf Grundstücke oder vorhandene Gebäude bezögen. Ein noch zu errichtendes Gebäude falle nicht unter diese Ausnahme. Hiernach beschreibt der Autor die Entwicklung des öffentlichen Auftrags anhand der früheren Richtlinien und der bisherigen Rechtsprechung des EuGH und der dazu ergangenen „Fliegerhorst Ahlhorn“-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf. Mit der Entscheidung des EuGH vom 25.03.2010 (C-451/08 – „Helmut Müller“) habe der EuGH dann die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf wieder eingefangen, indem er feststellte, dass ein öffentlicher Bauauftrag zwingend ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse des Auftraggebers an der Leistung erfordere. Dies sei dann der Fall, wenn der Auftraggeber über einen Rechtstitel verfüge, welcher die Verfügbarkeit des Bauwerks sichere oder Maßnahmen ergreife, die Merkmale der Bauleistung festlegen oder er zumindest entscheidenden Einfluss auf die Planung nehme. Zum Abschluss setzt sich der Autor vor dem beschriebenen Hintergrund äußerst kritisch mit der Entscheidung „Wiener Wohnen“ auseinander. So habe der EuGH Tatbestandsmerkmale geprüft, welche in der für die Entscheidung relevanten Richtlinie 2014/24/EU nicht normiert seien. So sei es nicht erforderlich, dass der Auftraggeber „unübliche Anforderungen“ an die zukünftige Mietsache stellen müsse. Weiter habe der EuGH nach Ablehnung eines öffentlichen Bauauftrags auch die anderen Fallgruppen nicht mehr geprüft. Zudem sei die Subsumtion bzgl. der Frage, ob der Auftraggeber denn über einen Rechtstitel verfüge, welcher ihm die Verfügbarkeit des betreffenden Bauwerks sichere, nicht erfolgt. Und letztlich sei der gesamte Ausnahmetatbestand fehlerhaft ausgelegt, da Ausnahmetatbestände eng auszulegen seien, was der EuGH nicht beachtet habe. Mit seinem Fazit stellt der Autor dann fest, dass selbst wenn der von Wiener Wohnen abgeschlossene Mietvertrag kein öffentlicher Bauauftrag gewesen sein sollte, zumindest ein Dienstleistungsvertrag über ein zu errichtendes Gebäude in einem Vergabeverfahren vergeben hätte werden müssen.
Daniel Bens, avocado rechtsanwälte, München