Ist die Überschreitung der Schätzkosten ein sachlicher Grund für einen Widerruf?

Titeldaten
  • Gruber, Thomas ; Gruber, Georg
  • ZVB - Zeitschrift für Vergaberecht und Bauvertragsrecht
  • Heft 7-8/2014
    S.278-281
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Aufsatz

Abstract
Der Auftraggeber hat den Auftragswert sachkundig zu ermitteln. Dabei kann er sich der Erfahrungswerte bedienen, die er aus eigenen Ausschreibungen gewonnen hat. Es liegt im Wesen eines geschätzten Auftragswertes, dass dieser von den Angebotspreisen sowohl unter- als auch überschritten werden kann. Bei der Kostenschätzung handelt es sich also um eine Prognose. Primärer Maßstab für die Höhe des geschätzten Auftragswertes ist jener Wert, den ein umsichtiger und sachkundiger öffentlicher Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegments und im Einklang mit den Erfordernissen betriebswirtschaftlicher Finanzplanung bei der Anschaffung der vergabegegenständlichen Sache veranschlagen würde. Die Angemessenheit der Höhe des geschätzten Auftragswertes ist nicht an den Preisen der abgegebenen Angebote zu messen, sondern an den zum Zeitpunkt der Erstellung der Kostenschätzung vorliegenden auf Erfahrungswerten / Kostenkennwerten des Auftraggebers beruhenden Preisen, die sich an der Marktlage orientieren. Für die Ermittlung des geschätzten Auftragswertes können weder die Schätzung des Auftraggeber noch die Preise der tatsächlich eingelangten Angebote für sich alleine maßgeblich sein, da sonst die Ermittlung des geschätzten Auftragswertes von den subjektiven Vorstellungen der jeweiligen Bieter bzw. des AG abhängig wäre. Der Auftraggeber kann die Ausschreibung gemäß § 139 Abs. 2 Z 3 BVergG aus sachlichen Gründen widerrufen. Der Widerruf der Ausschreibung muss auf objektiven Gründen beruhen. Er kann in jedem Stadium des Vergabeverfahrens erfolgen, zu dem diese Gründe hervorkommen. Der Widerruf muss nicht auf schwerwiegenden Gründen basieren. Es muss sich jedoch um objektive Gründe handeln. Ein Widerruf wegen eines Fehlers des Auftraggebers ist möglich. An die Gründe für den Widerruf aus sachlichen Gründen ist kein strenger Maßstab anzulegen. Generell überhöhte Preise stellen einen Widerrufsgrund dar. Eine Überschreitung der marktüblichen Preise um 20 % oder der Schätzkosten um 36 % rechtfertigen den Widerruf der Ausschreibung.
Dr. Johannes Schramm , Herausgeber und Schriftleiter der „Zeitschrift für Vergaberecht und Bauvertragsrecht“ (ZVB) , Wien