AGB- und vergaberechtliche Bewertung von Probezeit- und Nachrückerklauseln

Drum prüfe, wer sich vertraglich bindet – auch bei öffentlichen Ausschreibungen?
Titeldaten
  • Mattes, Christine; Paris, Ulrike von; Adrian, Nico
  • NZBau - Neue Zeitschrift für Bau- und Vergaberecht
  • Heft 11/2024
    S.651-657
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Aufsatz

Abstract
Der Beitrag befasst sich mit der Konstellation, dass ein Auftraggeber sich nach Abschluss eines Dienstleistungsauftrags aufgrund von nicht zufriedenstellender Leistung vorzeitig vom Vertragspartner lösen möchte. Geprüft werden die Zulässigkeit und Ausgestaltung von Probezeitklauseln und die Problematik der kurzfristigen Beschaffung eines Ersatzauftragnehmers.
Bei Dienstleistungsaufträgen könne der Auftraggeber ein Interesse daran haben, sich zügig von einem Auftragnehmer zu lösen, wenn dessen Leistung nicht den erwarteten Anforderungen entspricht. Eine Kündigung des Vertrages ohne Angabe von Gründen sei über eine vertragliche „Probezeitklausel“ möglich. Solche Klauseln würden der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegen. Sie seien unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Besonders problematisch seien solche Klauseln bei Werkverträgen, da oft der Vergütungsanspruch des Auftragnehmers für noch nicht erbrachte Leistungen ausgeschlossen wird. Hierdurch werde § 648 S. 2 BGB abbedungen, worin eine unangemessene Benachteiligung gesehen werden könne. Bei Vorliegen eines Werkvertrags könne eine Probezeitklausel daher nur gerechtfertigt sein, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Welcher der drei im Vergaberecht vorgesehenen Vertragstypen (Warenliefer-, Bau- und Dienstleistungsverträge) vorliegt, sei anhand allgemeiner Grundsätze im Einzelfall zu ermitteln. Entscheidend für die Einordnung, insbesondere von gemischten Verträgen, sei vor allem die Erfolgsbezogenheit. Eine zulässige Abweichung werde bei Verträgen, die eine Bindungswirkung über einen längeren Zeitraum entfalten und regelmäßig wiederkehrende Leistun-gen zum Gegenstand haben, anerkannt, da diese dem Dienstvertrag „angenähert“ seien. In diesen Fällen bestehe ein anerkanntes Interesse daran, sich zunächst einen Eindruck von der Zusammenarbeit mit dem Auftragnehmer zu machen und dabei von der Beweiserleichterung der Klausel zu profitieren.
Vergaberechtliche Bedenken gegen entsprechende Klauseln werden in der Hinsicht angeführt, dass aufgrund der unklaren tatsächlichen Vertragszeit keine kaufmännisch vernünftige Kalkulation des Angebotspreises möglich sei. Probezeitklauseln dürften die Kalkulation des Angebotspreises für die Bieter nicht unmöglich machen und keinen unbegrenzten Ermessensspielraum eröffnen. Diesem Problem könne entgegengewirkt werden, wenn der Bieter durch sein Verhalten selbst verhindern kann, dass die Kündigung ausgesprochen wird. Unproblematisch seien daher Klauseln, die objektive Kündigungsgründe (z.B. Schlechtleistung) vorsehen und kein willkürliches Kündigungsrecht ermöglichen.
Nach einer solchen Kündigung möchte der Auftraggeber häufig einen neuen Auftragnehmer ohne erneutes Vergabeverfahren auswählen. Diese Möglichkeit (§ 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 GWB) bestehe jedoch allenfalls dann, wenn sie bereits im ursprünglichen Vergabe-verfahren durch eine „Nachrückerklausel“ geregelt wurde. Die Klausel müsse präzise und transparent formuliert sein und die Bedingungen, unter denen ein Wechsel erfolgen kann, klar definieren. Wichtig sei, dass der Wechsel weder den Gesamtcharakter des Auftrags verändert noch die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz im Vergaberecht verletze. Durch die Möglichkeit des „Nachrückens“ bleibe die im ursprünglichen Vergabe-verfahren festgelegte Reihenfolge der Bieter relevant. Um eine Umgehung des Vergabe-rechts zu verhindern, müsse geregelt sein, dass der nachrückende Auftragnehmer die Eignungskriterien weiterhin erfülle. Eine Verpflichtung des Auftraggebers zum Vertragsschluss mit dem nächstplatzierten Bieter bestehe aber nicht, da mit Blick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot abgewogen werden müsse, ob ein neues Vergabeverfahren bessere Ergebnisse verspricht. Im Ergebnis könne der Auftraggeber also seinen Handlungsspiel-raum durch transparente und rechtskonforme Gestaltung der Vergabeunterlagen maximieren und vertragslose Zeiten vermeiden. Dabei sollten vor einer Probezeitkündigung und einem Auftragnehmerwechsel immer die aktuelle Rechtsprechung und Wirtschaftlichkeit in die Entscheidung einbezogen werden.
Linda Siegert, ESCHE SCHÜMANN COMMICHAU Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB, Hamburg