Ein Lehrstück zur Bedeutung ausschließlicher EU-Zuständigkeit
Titeldaten
- Weiß, Wolfgang; Raitner, Sara-Alexandra
- NZBau - Neue Zeitschrift für Bau- und Vergaberecht
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Heft 3/2025
S.139-148
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Aufsatz
Abstract
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie der Zugang von Unternehmen aus Drittstaaten ohne völkerrechtliches Abkommen mit der EU zum EU-Vergabemarkt geregelt ist. Bei der Einordnung von Drittstaaten ist zwischen zwei Arten zu unterscheiden. Einige Nicht-EU-Staaten sind durch völkerrechtliche Abkommen (z.B. durch das sog. GPA) zu Fragen des Vergaberechts mit der EU verbunden. Mit anderen Staaten hingegen besteht keine solche Vereinbarung. Während für erstere eine Gleichstellung mit EU-Bietern gilt, ist die Rechtslage für Unternehmen aus nicht-gebundenen Drittstaaten weniger klar. Den Autoren ging es darauf aufbauend um die Frage, wie mit Bietern aus nicht gebundenen Drittstaaten im Vergabeprozess zu verfahren ist. Zur Beurteilung dieser Frage wurden das Urteil des EuGH in der Rechtssache Kolin (22.10.2024, C-652/22) und die einschlägigen europarechtlichen Regelwerke herangezogen. Der EuGH stellte in seinem Urteil fest, dass eine unionsrechtliche Regelung zu dieser Frage fehlte. Er beschäftigte sich infolgedessen mit der Problematik der Gesetzgebungszuständigkeiten zur Regelung der Zugangsmöglichkeiten und untersagte mit Verweis auf die ausschließliche Außenhandelszuständigkeit der EU diesbezügliche nationale Regelungen. Gleichzeitig wurde aber den nationalen Vergabestellen Raum für Zulassungsentscheidungen eröffnet. Diese Vorgehensweise halten die Autoren für widersprüchlich. In Bereichen ausschließlicher EU-Zuständigkeit müsse ihnen zufolge auch die Entscheidung über Einzelfälle unionsrechtlich geregelt sein, um Rechtssicherheit zu schaffen. Im EU-Sekundärrecht finden sich in der Sektorenrichtlinie 2014/35/EU in Art. 85 SRL zwar Hinweise zur Diskriminierung von Produkten aus Drittstaaten, diese betreffen aber primär den Umgang mit den Erzeugnissen selbst und nicht den Umgang mit den Bietern. In Art. 86 SRL wird die Konstellation behandelt, dass EU-Staaten in Drittländern auf Marktzugangshemmnisse stoßen. Hier besteht dann die Möglichkeit zu Gegenmaßnahmen. Allerdings gilt diese Reziprozität den Autoren zufolge in diesem Zusammenhang nur im Verhältnis zu Vertragsstaaten. Auch die Kommissionsleitlinien zur Teilnahme von Drittstaatenbietern lassen offen, ob und wie solche Unternehmen am Verfahren teilnehmen dürfen. Sie überlassen diese Entscheidung den jeweiligen Auftraggebern. Im Ergebnis verbleibt daher eine Regelungslücke. Diese könnte aber möglicherweise durch neuere EU-Rechtsakte geschlossen werden. Die Autoren nehmen hier Bezug auf die IPI-Verordnung (VO (EU) 2022/1031) und die Drittstaatensubventionsverordnung (sog. FSR; VO (EU) 2022/2560). Die IPI-Verordnung verfolgt das Ziel, den Zugang europäischer Unternehmen zu bislang verschlossenen Beschaffungsmärkten in Drittstaaten zu erleichtern. Sie erlaubt der EU, für Unternehmen aus Drittstaaten, in denen es keine Marktöffnung gegenüber der EU gibt, den Zugang zum Vergabemarkt zu beschränken. Infolgedessen wird vorausgesetzt, dass Unternehmen aus solchen Drittstaaten grundsätzlich Zugang haben. Ähnlich verhält es sich mit der FSR, die festlegt, dass bei Ausschreibungen ab 250 Mio. € durch die Kommission geprüft werden muss, ob Drittstaatensubventionen zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Auch hier wird eine Teilnahme solcher Bieter vorausgesetzt. Mit diesen Regelungen hat der EU-Gesetzgeber faktisch eine Öffnung des Vergabemarkts für alle Drittstaaten vorgenommen, unabhängig von bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen. Dies schließt die Möglichkeit nationaler Vergabestellen aus, solche Anbieter allein wegen ihrer Herkunft abzuweisen. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die vom EuGH in die Verantwortung jedes einzelnen Auftraggebers gestellte Entscheidung über die Zulassung von Wirtschaftsteilnehmern aus ungebundenen Drittstaaten erst ab einer gerade durch die EU erfolgten Öffnung des Vergabebinnenmarkts für solche Bieter denkbar ist. Dies ist mit Erlass der IPI-Verordnung und der FSR erfolgt. Erst ab diesem Zeitpunkt sind die nationalen Stellen zuständig, in Anwendung der IPI-Verordnung und der FSR handelnd, über die Reichweite dieser Zulassung und die Verfahrensbehandlung zu befinden.
Linda Siegert, ESCHE SCHÜMANN COMMICHAU Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB, Hamburg