Titeldaten
- Hübner, Alexander
- VergabeR - Vergaberecht
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Heft 2/2025
S.113-121
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Aufsatz
Abstract
Der Beitrag befasst sich mit der Möglichkeit der Teilnahme von Unternehmen aus Drittstaaten an Vergabeverfahren im Anwendungsbereich der EU, mit denen die EU kein internationales Beschaffungsübereinkommen geschlossen hat. Dabei setzt sich der Autor vertieft mit dem EuGH-Urteil Kolin vom 22.10.2024 – C-652/22 und dessen Auswirkungen auf das deutsche Vergaberecht auseinander. Der Autor erläutert zunächst das relevante Unionsrecht und die ständige Rechtsprechung des EuGH. Demnach sind die EU-Grundfreiheiten und EU-Vergaberichtlinien nicht auf Unternehmen aus Drittländern anwendbar. Diese Akteure haben keinen Anspruch auf Zugang zum Beschaffungsmarkt der Union und können von Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Das EuGH-Urteil Kolin bestätigt die ständige Rechtsprechung und erklärt mitgliedsstaatliche „Rechtsakte mit allgemeiner Bedeutung“ für unionsrechtswidrig, wenn sich diese über das Unionsrecht hinwegsetzen und dadurch Unternehmen aus Drittstaaten eine weitergehende Rechtsposition in Vergabeverfahren verliehen wird. Dies gilt auch dann, wenn das Unternehmen durch den Auftraggeber zugelassen wurde. Zur Begründung führt der EuGH die ausschließliche Zuständigkeit der EU für die gemeinsame Handelspolitik an. Unionsrechtlich unbedenklich ist es, wenn der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen festlegt, dass Teilnehmer aus Drittstaaten Zugang zum Vergabeverfahren haben, ohne dies auf die Befolgung von mitgliedsstaatlichen „Rechtsakten mit allgemeiner Bedeutung“ zu stützen. Der EuGH nennt als denkbare Beispiele etwa die Grundsätze der Transparenz oder der Verhältnismäßigkeit. Für diesen Fall sieht der EuGH die Grenze zur Unionsrechtswidrigkeit als überschritten an, wenn das mitgliedsstaatliche Recht gar keine Vorgaben zur unterschiedslosen Berechtigung jeglicher Drittstaatenbieter in Vergabeverfahren macht. Für das deutsche Vergaberecht bedeutet das EuGH-Urteil Kolin, dass mitgliedsstaatliche „Rechtsakte mit allgemeiner Bedeutung“, die europarechtlich veranlasst wurden, unionsrechtskonform ausgelegt werden müssen, wie etwa § 97 Abs. 2 und 6 GWB sowie § 134 GWB. Diese können nicht zugunsten von Unternehmen aus sonstigen Drittstaaten angewendet werden. Folglich kann das Gleichbehandlungsgebot gemäß § 97 Abs. 2 GWB, welches den Zugang zu Vergabeverfahren für sonstige Drittstaaten bejaht, nicht mehr unterschiedslos neben Teilnehmern aus der EU und Staaten, die ein internationales Beschaffungsübereinkommen mit der EU geschlossen haben, auch auf Unternehmen aus sonstigen Drittstaaten angewendet werden. Als Folge sieht der deutsche Gesetzgeber im Entwurf des Vergaberechtstransformationsgesetzes eine entsprechende Änderung des Wortlauts von § 97 Abs. 2 GWB vor und fügt den Begriff „unionsrechtlich“ ein. Eine weitere Folge ist, dass Anträge auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens von Unternehmen aus sonstigen Drittstaaten unzulässig sind, selbst wenn deren Rüge offensichtlich begründet ist. Zum Schluss macht der Autor Vorschläge, wie Auftraggeber die Bekanntmachung oder Vergabeunterlagen formulieren sollten, wenn sie Unternehmen aus einem sonstigen Drittland zur Teilnahme zulassen wollen. Der Auftraggeber sollte etwa darauf hinweisen, dass die Rechte solcher Unternehmen hinter den Rechten von Unternehmen mit Sitz in der EU oder mit internationalem Beschaffungsübereinkommen zurückbleiben, der Auftraggeber jedoch die Grundsätze des deutschen Rechts wie z.B. das Rechtsstaatsprinzip zu ihren Gunsten anwenden wird.
Linda Siegert, ESCHE SCHÜMANN COMMICHAU Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB, Hamburg